Vor 14 Jahren entstand das Job-Mentoring München: Wie kam es dazu und wo steht das Programm heute?

Warum finden nur ein Viertel der HauptschulabgängerInnen eine Lehrstelle? Diese Frage stellte sich schon im Jahr 2006 der pensionierte Verlagsmanager Wolfgang Thoennissen. Und aus der Frage wuchs schnell ein starker Veränderungswille und die Idee, dass RuheständlerInnen, die vorher ein erfolgreiches Berufsleben in der freien Wirtschaft hatten, ehrenamtlich SchülerInnen bei der Lehrstellensuche unterstützen. JobmentorInnen helfen den zukünftigen MittelschulabgängerInnen der achten, neunten und zehnten Klasse, ihren Berufswunsch zu konkretisieren und einen Ausbildungsplatz zu finden. In den letzten Jahren waren bis zu 41 MentorInnen an 21 Schulen tätig. Neben der Kerntätigkeit der Lehrstellenfindung organisiert und finanziert das Jobmentoring auch Nachhilfekurse für den Quali in Mathematik sowie Tanz- und Theater-projekte an den Schulen zur Förderung der Kreativität und Eigeninitiative der SchülerInnen.

Und heute? Wie beeinflusst die Corona-Pandemie aktuell die Programmarbeit?

Im abgelaufenen Schuljahr sind wir mit einem „blauen Auge“ davon gekommen, weil beim Ausbruch von Corona Mitte März schon eine erhebliche Zahl an Lehrverträgen vorlag. Die Gesamtbilanz liegt nur unwesentlich unter den Zahlen des vorhergegangenen Schuljahres 2018/19, auch weil durch die vorliegenden Kontakte zu den SchülerInnen vieles online gemacht werden konnte.

Im beginnenden Schuljahr 2020/21 sieht die Sache komplizierter aus, weil wir die SchülerInnen erst kennenlernen müssen. Das geht nicht ohne persönliche Startkontakte, und dadurch fallen einige wenige JobmentorInnen wegen hoher Risikobelastung aus. Glücklicherweise haben sich aber einige neue MentorInnen gemeldet (insgesamt 8), so dass wir hoffen, wieder voll tätig sein zu können. Alle Schulen haben ein Hygiene-Konzept, so dass wir unsere MentorInnen gut beschützt empfinden. Da wir bisher in München einen starken Überhang an Lehrstellen hatten, ist der leichte Rückgang der Stellen nicht schädlich für uns.

Wie reagieren die Jugendlichen und die JobmentorInnen und die Schulen auf die aktuelle Situation?

Die überwiegende Zahl der MentorInnen kommt mit der aktuellen Situation klar. Einige wenige sind ausgeschieden, werden aber von neuen ersetzt. Von den SchülerInnen hören wir, dass sie gut mit der Situation zurecht kommen und sich sogar auf die Schule freuen. Das Masken-Tragen ist nach unserer Information kein großes Problem. Die Schulen haben sich unterschiedlich organisiert. Das Staatliche Schulamt kann nur begrenzt helfen, die Schulen müssen teilweise selbst für sich sorgen. Das hängt dann erheblich von der Flexibilität der Leitung ab. Da die Schulen erst seit kurzer Zeit offen sind, kann noch kein Gesamtbild abgegeben werden.

Zwei JobmentorInnen erzählen…

Ille Sophie Schalk, Job-Mentorin seit 2006

„Job-Mentorin zu werden war für mich ein schneller Entschluss: ich wollte mein Wissen aus meinem vielfältigen Berufsleben in der Wirtschaft an die Schüler der Abgangsklassen der Mittelschule weitergeben. Die Schüler bei ihrer Berufsfindung zu unterstützen, sie zu beraten für kaufmännische, technische, künstlerische o.ä Berufswege ist mein Ziel. Dies im Zusammenwirken mit den Lehrern und deren Beurteilung des jeweiligen Schülers, als notwendige Ergänzung der Arbeitsagentur und deren Möglichkeiten. Mit Schülern deren Bewerbungsunterlagen zu optimieren ist meine meist wöchentliche Aufgabe. Und eine geeignete Ausbildung bei Firmen zu rekrutieren. Dies beinhaltet auch die Vorbereitung der Vorstellungsgespräche und – wenn möglich – endet die Unterstützung bei Abschluss eines Ausbildungsvertrages. Das hierbei über viele Jahre entstandene Vertrauensverhältnis zu den Lehrern der jeweiligen Abgangsklasse und der positiven Unterstützung der Rektorin in diversen Fragen ist wesentlich für meine Entscheidung, weiterhin Job-Mentorin zu sein.“

Wolfgang Loertzer, Job-Mentor seit 2009

„Wir Jobmentoren bedauern gelegentlich, dass wir nach langer Zusammenarbeit im Bewerbungsprozess nicht erfahren, wie es nach Ende der Schule mit unseren Schülern im Ausbildungsbetrieb weitergeht. Sind sie erfolgreich, werfen sie hin oder stellen sie im schlimmsten Fall sogar fest, dass der gewählte Beruf nicht der persönlichen Veranlagung entspricht? Manchmal jedoch gibt es Ausnahmen: eine solche war Milo (Name geändert). Milo fiel mir vom ersten Augenblick unserer Zusammenarbeit an dadurch auf, dass er außerordentlich freundlich und immer gut gelaunt war. Vor Beginn der eigentlichen Arbeit führte er mit mir gern eine kurze, sehr angenehme Unterhaltung über verschiedene Themen. Platz nahm er erst, wenn er dazu aufgefordert wurde; bis dahin stand er kerzengerade im Raum. Milo kam mit seinen Eltern und Geschwistern aus einer kleinen Volksgruppe im Balkan und hatte einen unerwarteten Berufswunsch: er wollte Fachkraft im Gastgewerbe werden. Er glaubte, andere Menschen zu bedienen und dadurch froh zu machen, sei seine Bestimmung. Dabei steuerte er geradewegs auf einen guten Qualifizierenden Hauptschulabschluss zu. Da ich allen meinen Schülern ein dem Berufswunsch entsprechendes Praktikum empfehle, suchten wir gemeinsam nach einem Restaurant der gehobenen Klasse. Bei Milos Auftritt und seiner sympathischen Ausstrahlung konnte es schon etwas exklusiver sein. Nach langer Suche fanden wir ein passendes Haus. Die Arbeit als Praktikant dort beurteilte Milo als durchwachsen. Der Umgang mit vielen Menschen war für ihn zwar das Beste, was er je erlebt hatte. Auch das Trinkgeld störte ihn nicht. Allerdings waren die Arbeitszeiten nicht so ganz sein Geschmack. Trotzdem meinte Milo, dass er sich daran gewöhnen würde. Ich staunte nicht schlecht. In den folgenden Beratungsstunden haben wir dennoch überlegt, ob es nicht auch Alternativen für ihn gäbe. Unter weiteren Berufen gefiel Milo schließlich der Kaufmann im Einzelhandel ganz gut. Er war ein guter Schüler, Mathe war sein Ding, und das dann zusätzlich absolvierte Praktikum verlief gut für ihn. Wichtig war Milo, nicht nur im Büro zu sitzen, sondern auch viele Kunden zu treffen und zu beraten. Nach erfolgreicher Bewerbung trat Milo dann seine Lehrstelle in einem großen Fachhandelsgeschäft für Haushaltswaren an. Bei einem Besuch dort erzählte er mir, dass er dank seiner guten Leistungen eine verkürzte Ausbildungszeit machen dürfe und damit bereits 6 Monate früher seine Prüfung ablegen könne. Stolz stand er vor mir. Unsere nächste Begegnung war bei einer Feier in unserer Schule. Natürlich habe er zwischenzeitlich seine Prüfung zum Einzelhandelskaufmann mit Bravour hinter sich gebracht, erzählte Milo. Dank des guten Abschlusses habe er sich außerdem gleich abwerben lassen. Jetzt arbeite er in einem Feinkostgeschäft der Spitzenklasse. Damit nicht genug, sei er nun auch der Stellvertreter seines Abteilungsleiters geworden. Und anspruchsvolle Kunden-kontakte habe er reichlich. Im Anschluss stellte er mir seine sympathische Frau vor. Und: sie war im 5. Monat schwanger. Milo hat seinen Weg gemacht: vom vermeintlichen Kellner in eine verantwortungsvolle Position im Einzelhandel. Und eine Familie gegründet hat er auch.Natürlich hatte ich in den Folgejahren in der Schule auch Milos Schwester und seinen Bruder in der Beratung. Der Bruder ging wegen seiner ausgezeichneten Noten nach dem Quali auf eine weiterführende Schule. Die Schwester wurde verheiratet und verließ die Schule ohne Abschluss nur 4 Wochen vor Ende des Schuljahres.“

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